Seit 2019 ringt der „Synodale Weg" in Deutschland um Reformen in der katholischen Kirche - es geht um Themen wie die Stellung der Frau in der Kirche, um Machtstrukturen, die katholische Sexualmoral und den Pflicht-Zölibat. Doch nun hat der Vatikan die Reformbewegung mit Bischöfen und Laien erneut und eindeutig in die Schranken gewiesen: Ein geplanter „Synodaler Rat" als permanentes Leitungsgremium, in dem Kleriker und Nicht-Kleriker gemeinsam entscheiden, sei nicht erlaubt. Damit wird ein Kernelement des „Synodalen Weges" torpediert. Welche Folgen hat die Haltung Roms? Bedeutet die Reaktion des Vatikans das Ende des „Synodalen Weges"? Wie gehen Katholiken in Recklinghausen mit der Situation um? Zu diesen Fragen haben wir mit zwei engagierten Katholiken gesprochen, die in der Kirche in Recklinghausen aktiv sind - der eine ehrenamtlich, der andere hauptamtlich.
„Ich glaube nicht, dass der Synodale Weg' mit der Reaktion aus Rom am Ende ist", sagt Dr. Martin Kuhlmann. „Man konnte ja von Anfang an nicht erwarten, dass der Synodale Weg' direkt grundlegende Veränderungen auslöst. Aber er ist weiterhin ein wichtiges Zeichen und ich erwarte und wünsche mir, dass man sich mit den Ideen und Vorschlägen aus Deutschland auseinandersetzt, dass diese Einfluss auf die weltweite Diskussion in der katholischen Kirche haben. Es ist doch klar, dass diese Themen nicht nur in Deutschland Menschen bewegen - anders als manche Kritiker des 'Synodalen Weges' behaupten."
Dennoch kritisiert Martin Kuhlmann, der Mitglied im Gemeinderat Heilige Familie in Speckhorn und im Pfarreirat von St. Peter ist, die ablehnende Reaktion aus Rom deutlich: „Erst wird zur Synodalität ermutigt und dann kommen solche Verbote. Das ist frustrierend, auch für mich in meiner ehrenamtlichen Arbeit."
Dabei bemüht sich der 59-Jährige um einen differenzierten Blick auf die Situation: „Vor Ort in unserer Gemeinde hat sich eine Menge geändert, hier haben wir viele Freiheiten zur Gestaltung, hier erlebe ich Kirche sehr positiv, fühle mich wohl", betont der IT-Berater. Gleichzeitig weist Martin Kuhlmann darauf hin, dass viele fundamentale Dinge verändert werden müssen - und nennt Stichworte wie die Machtstrukturen und die Rolle der Frau. ,,Die katholische Kirche ist nicht nur schlecht, hier gibt es auch Positives", sagt der Familienvater. „Aber es sind Reformen notwendig. Und dazu muss die Kirche die Lebenswirklichkeit der Mehrheit der Menschen realisieren."
„Schnell und heftig" nennt Ludger Ernsting das erteilte Verbot aus dem Vatikan. Der Pfarrer von Gastkirche und Gasthaus in der Recklinghäuser Innenstadt weist auf ein Problem beim Verständnis von Synodalität hin: ,,Bestimmte Kreise aus Rom verstehen darunter zwar ein Miteinander-Sprechen, aber nicht ein Miteinander-Entscheiden." Diese Haltung sei im Alten verwurzelt, nicht offen für die Herausforderungen des Jetzt und werde nicht funktionieren, so Ludger Ernsting - mit Blick auf Aufklärung und Autonomie des Menschen. „Für eine Kirche aus einem hierarchischen Machtverständnis heraus gibt es keine Akzeptanz mehr. Die Folge ist, dass sich die Kirchenleitung vom Volk Gottes löst, die Kluft hier noch größer wird."
Dieser „Schub weg" von der Identität mit der Kirchenleitung bedeutet für den 65-Jährigen, dass das persönliche Gewissen des Gläubigen noch wichtiger wird: „Die individuelle Verantwortung kommt stärker in den Blick, der Glaube wird mehr aus der Gewissensverantwortung des Einzelnen gelebt, es werden aus dem Evangelium heraus andere Entscheidungen getroffen, als sie von der Amtskirche proklamiert werden." Ludger Ernsting betont, dass sehr viele Menschen diesen Glauben vor Ort bereits gemeinsam leben.
Angesichts vieler gescheiterter Reformbemühungen zeigt der katholische Pfarrer aber auch durchaus Verständnis für die, die sich von der Kirche abwenden: „Das ist nachvollziehbar, wenn man irgendwann sagt: ,Ihr könnt mich mal." Allerdings gibt Ludger Ernsting in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass Kirche mehr als die Amtskirche ist: ,,Rom ist nicht die Kirche und Kirche hängt nicht vom Papst ab. Kirche ist da, wo Menschen miteinander im Geist des Evangeliums auf dem Weg sind und zu der Botschaft des Evangeliums, ja' sagen."
Thomas Schönert