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Propsteikirche in Recklinghausen: Vom Friedensboten zum Kriegspatriarchen

Kyrill I., heute russisch-orthodoxer Patriarch von Moskau und ganz Russland, war einmal auf „Friedensmission“ in unserer Propsteikirche.

RZ-Foto: H. Pölking

Einen „Hauch der Weltgeschichte“ zeigt dieses Foto in St. Peter: Der Erzbischof umgeben von Bernhard Lübbering, den Pfarrern Theo Bollrath und Ulrich Weingärtner (Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen) und Propst Alfred Stukenkemper. (v.l.n.r. )

Das Bilddokument wurde in der Sakristei aufgenommen, in der damals noch der Christus-Torso hing, der seit 1990 im Altarraum an das Leid und den Schrecken von Kriegen und Gewalt erinnert und zum Frieden mahnt.

Nach dem Überfall auf die Ukraine vor nunmehr zwei Jahren hatte auch Papst Franziskus über Vertreter und dann per Video direkt Kontakt zum Patriarchen aufgenommen, um ihn für eine gemeinsame Friedensmission der Kirchen zu gewinnen. Er ist damit ebenso gescheitert wie der Ökumenische Weltkirchenrat, dem die russisch-orthodoxe Kirche ja angehört. Stattdessen schien ja eher eine gemeinsame Siegesfeier von Putin und Patriarch geplant zu sein. Nach dem Scheitern seiner Initiativen hat Papst Franziskus die Aggression bei verschiedenen Gelegenheiten öffentlich als „Massaker“ und „perversen Mißbrauch von Macht“ verurteilt. 

Als „Außenamtsvertreter“ seiner Kirche war der Erzbischof Gast der katholischen Friedensorganisation Pax Christi im Bistum Münster, der es um die Aussöhnung mit den Ländern war, die Opfer der NS-Kriegsmaschinerie geworden war. Bernhard Lübbering, damals Geistlicher Beirat, lud ihn nach St. Peter ein. Die orthodoxe Vesper fand unter Beteiligung des Chors der russischen Gemeinde aus Horneburg statt. „Es war für mich ein großes Erlebnis“, schrieb Kyrill im Nachhinein an Pfarrer Lübbering. Damals übernachtete er im Kloster der Clemensschwestern im Prosper-Hospital. Er sprach übrigens deutsch; seine Mutter war Deutschlehrerin. So zeigte er sich auch interessiert an der angesehenen deutschsprachigen theologischen Fachzeitschrift „Concilium“, die ihm Bernhard Lübbering ein Jahr lang zusandte. 

Wie aber passt Kyrills Besuch auf Einladung von Pax Christi am 9. Mai 1988 in Recklinghausen dazu, dass Putin bei der grandiosen Stadionfeier zum Jahrestag der Krim-Eroberung ohne Widerspruch der Orthodoxie die Bibel als Belegstelle heranziehen darf? 

Die russisch-orthodoxe Kirche wurde durch das kommunistische Regime ab 1917 brutal verfolgt; auch Kyrills Vater war nach dem Theologiestudium ab 1934 drei Jahre in der Gulag-Haft. Zum Überlebens-Preis gehörten Kollaboration und Unterwerfung; so arbeitete Kyrill ab 1972 im berüchtigten Geheimdienst KGB. In der Stalin-Zeit war die Orthodoxie auch an der Vernichtung der Ukrainisch-Kath. Kirche beteiligt, einer katholischen Kirche mit der Liturgie der Ostkirche in der heutigen West-Ukraine. Der gesamte Klerus kam in Arbeitslager und wurde zum großen Teil ermordet, die Kirchen zerstört oder von der Orthodoxie in Besitz genommen. Bei seinen Besuch in Europa zu Sowjetzeiten hatte Kyrill, damals Metropolit von Smolensk und Vjasma, den vorgegebenen propagandistischen Parteikurs der KPdSU zur „Völkerfreundschaft“ zu vertreten. 

Orthodoxe Kirchen sind traditionell synodal-nationalstaatlich organinisiert. Ihre staatskirchliche Tradition haben Putin und der Patriarch in einem stabilen Bündnis neu belebt: Beide akzeptieren weder die Selbständigkeit des Staates oder der orthodoxen Kirche in der Ukraine. Die russisch-orthodoxe Kirche vertritt die Theorie des „kanonischen Territoriums“. Nicht nur die Gläubigen, sondern auch das Territorium seien gewissermaßen orthodox. 

Das russische Militär kämpft aus dieser – theologisch einzigartigen und anachronistischen ‒ Sicht auch für die Rückeroberung des „rechtmäßigen Territoriums“ des Patriarchen Kyrill I. 

Dabei ging er soweit, russischen Soldaten in einem Gottesdienst zuzusichern, dass ihnen im Falle ihres Todes alle Sünden vergeben würden, da der Tod „bei der Erfüllung der militärischen Pflichten“ mit dem Opfertod Jesu am Kreuz zu vergleichen sei. Georg Möllers