Schwester Hannelore lebt mitten im pulsierenden Berlin. Die Ordenstracht trägt sie nur zu besonderen, offiziellen Anlässen. Die Gebetszeiten sind flexibel. Und auch sonst ist sie nicht die typische Nonne, die man sich so vorstellt. Sie lebt mit zwei Mitschwestern und einem ehemaligen Blindenführhund in einer Mietswohnung, ist Vorsitzende des ambulanten Hospizdienstes TAUWERK e.V. für Menschen mit Aids. Doch dahin war es ein langer, aber stets herzlicher Weg. Und der begann 1984 mit ihrer Pflegeausbildung im Elisabeth Krankenhaus Recklinghausen.
Wenige Monate vor ihrem Examen zur Krankenschwester stand für Jutta Huesmann, so ihr bürgerlicher Name, fest: Ich werde Franziskanerin! Den letzten Urlaub als Pflegeschülerin verbrachte die heute 64-Jährige im Mutterhaus in Münster. Eingeweiht war nur Schwester Reginalda, ebenfalls Franziskanerin und als solche eine der letzten Oberinnen am Elisabeth Krankenhaus Recklinghausen. Schwester Hannelore erinnert sich gerne an sie zurück: „Schwester Reginalda hat sicher Spuren hinterlassen, gerade mit dem Aufbau des Hospizes zum Heiligen Franziskus. Ich denke, es ist kein Zufall, dass ich auch in dem Bereich tätig bin. Sie hat mir sehr imponiert.“
Schon während des Theologie-Studiums in Münster, das sie später zugunsten der Pflegeausbildung abbrach, lernte sie einen Benediktiner und eine heutige Mitschwester kennen. „Die beiden passten so gar nicht in mein Weltbild eines Ordens. Die beiden waren fit in ihren Berufen, sehr aktiv und so ganz anders als ich mir typische Ordensleute vorstellte. Ich merkte schnell, in der offenen Haltung, die sie verkörperten, steckte so viel Zündstoff auch für heute drin, auch wenn die Werte, die dahinterstecken, hunderte Jahre alt sind.“
Der ambulante Hospizdienst für Menschen mit Aids TAUWERK e.V. finanziert sich zum Großteil aus Spenden. Ohne diese wäre die Arbeit von Schwester Hannelore, ihren Mitschwestern und den vielen Ehrenamtlichen nicht möglich.
Spendenkonto: Hospizdienst TAUWERK e.V.
IBAN: DE 48 1009 0000 1279 3310 08
BIC: BEVODEBB
Im Krankenhaus kam es zum ersten Kontakt mit einem HIV-positiven Patienten. Damals, Ende der 80er-Jahre, war Aids noch ein großes Tabuthema. Die Berührungsängste und der abweisende Umgang der Kolleginnen schockierten sie. „Ich wollte so nicht mit Menschen umgehen, sondern im Sinne von Franziskus für Kranke da sein, niemanden ausschließen.“ Später im Orden wurde ihr schnell klar: „Ich möchte dahin, wo die Brennpunkte sind.“ Eine Zeitungsschlagzeile „Berlin ist Hauptstadt für Aids“ brachte sie 1992 genau dort hin. Aus einem zufälligen Gespräch mit Franziskanern, die in Berlin eine Suppenküche betreuten, wurde schließlich ein Arbeitspapier und Sr. Hannelore und Sr. Juvenalis erhielten „grünes Licht“ für Berlin. Zu der Zeit sind damals viele Menschen an Aids gestorben, es gab noch keine Therapie. Und die Personaldecke zur Betreuung dieser Menschen war sehr dünn. Aus den Erfahrungen in der klinischen und ambulanten Pflege wurde die Idee für den ambulanten Hospizdienst TAUWERK für Menschen mit Aids geboren. „Aber die in Berlin waren alles andere als begeistert, als da Nonnen in ihrer Tracht eintrafen“, erinnert sich Schwester Hannelore mit einem Schmunzeln im Gesicht. Die Skepsis war, auch aufgrund wenig einladender Äußerungen verschiedener Bischöfe zu dieser Zeit, groß. Die beiden Schwestern merkten schnell: Die größte Kommunikationsbarriere ist die Ordenstracht! Sie waren sehr froh, dass bei einem zeitnah stattfindenden Provinzkapitel der Ordensgemeinschaft beschlossen wurde, dass jede Schwester fortan selbst entscheiden durfte, was sie trägt. Der silberne TAU-Kettenanhänger ist das optische Verbindungszeichen.
Diesen trägt sie auch über dem lilafarbenen Sweater, als sie rund 40 Jahre nach ihrem Examen erstmals wieder ans Elisabeth Krankenhaus Recklinghausen für einen Besuch zurückkehrt. Dass das TAU auch Teil des Krankenhaus-Logos ist, ist kein Zufall. Neben der Kirchengemeinde St. Antonius ist die St. Franziskus-Stiftung Münster Hauptträger der Recklinghäuser Einrichtung. Und die wurde einst von den Mauritzer Franziskanerinnen aus Münster gegründet. Schwester Hannelore ist sogar Kuratoriumsmitglied und trägt mit dafür Sorge, dass die franziskanischen Werte in den Einrichtungen der Stiftung immer neu mit Leben gefüllt werden.
Gemeinsam mit Steffi Gross-Ulrich, die damals ein Jahrgang über ihr in der krankenhauseigenen Pflegeschule war, schlendert Schwester Hannelore über die Flure des Krankenhauses an der Röntgenstraße und lässt die alte Zeit Revue passieren. „Einiges ist anders, aber vieles eben auch nicht“, sagt sie mit einem Schmunzeln auf den Lippen und blickt den langen hohen Flur der Station 1a hinunter. „Genau wie früher“, erinnert sie sich. „Die alten großen Holztüren sind zum Teil auch immer noch dieselben. Aber alles ist deutlich heller und freundlicher geworden.“ Vor ihrem inneren Auge sieht sie, wie damals noch die Krankenschwestern mit dem Mini-Rad über die Stationen flitzten. „Als eine Kollegin einem Doktor dann zwischen die Beine gedonnert ist, war Schluss damit“, erinnert sie sich und muss lachen. Das rollende Gefährt war damals eine willkommene Hilfe, um vom äußersten Ende der Station 1 bis zum anderen Ende der Station 1c zu düsen. Der Weg war lang, unter Umständen nur eine Nachtschwester für alle Stationen auf der Ebene zuständig. Das wäre heute unvorstellbar.
„Ich bin hier auch einige Kilometer gelaufen. Vorne anfangen Fieberthermometer verteilen und wenn man hinten fertig war, musste man vorne wieder einsammeln.
Zwischen Station 1a und 1b bleibt Schwester Hannelore vor den drei Stufen, die zur Kapelle hochführen stehen. „Mensch“, sagt sie energisch, „hier kam früher samstags abends immer eine Rampe drauf und dann wurden mit Schmackes die Patientenbetten hoch in die Kapelle geschoben. Dann fand die gemeinsame Krankensalbung statt. So musste sich niemand allein fühlen, es nahm die Angst. Und Schwester Ludolpha saß an der Orgel.“ Sie war eine der beiden letzten Franziskanerinnen, die 2003 das Eli-Süd verließen – 100 Jahre nachdem das Süder Hospital damals mit sechs Schwestern aus Münster eröffnete. Sie haben viele Jahrzehnte die Pflege im „Eli“ geprägt – und die franziskanischen Werte. Schwester Hannelore: „Ich finde es wichtig, normalen Alltag und spirituelles Leben zu kombinieren. Alles, was ich tue, hat viel mit der franziskanischen Spiritualität zu tun. Das bedeutet für mich vor allem Gemeinschaft und Menschen nicht zu be- oder verurteilen, sondern sie so anzunehmen, wie sie sind. Und das zeigt sich schon im Kleinen im Alltag, wenn ich zum Beispiel der Kassiererin im Supermarkt sage, wie freundlich sie ist.“
Kristina Schröder
Video
Einblicke in die Arbeit des Tauwerks gibt es hier:
www.youtu.be/VIFE223xYAA
www.hospiztauwerk.de