Der Tag von Pasquale Di lanne muss mehr als 24 Stunden haben. Der 42-Jährige übt nämlich so viele Ämter aus, dass sie eigentlich nicht zwischen zwei Sonnenaufgänge passen. Hauptberuflich arbeitet der gebürtige Castrop-Rauxeler bei der Hertener Feuerwehr als Ausbilder der Notfallsanitäter. Zudem lehrt er an der Rettungsschule Vest und nimmt dort die Prüfungen ab. Darüber hinaus engagiert er sich ehrenamtlich: beim Deutschen Roten Kreuz in Oer-Erkenschwick, wo er einst selbst ausgebildet wurde. Hier wacht er als stellvertretender Koordinator ebenfalls über die Ausbildung im Rettungsdienst, fährt außerdem regelmäßig selbst zu Einsätzen raus. Darüber hinaus trägt er sein Wissen und seine Begeisterung für den Beruf in Schulen weiter. „Alles eine Frage der Organisation“, sagt Di lanne.
Obwohl er schon ein Vierteljahrhundert im Rettungsdienst arbeitet, ist seine Leidenschaft ungebrochen. Anders als bei manch anderem Kollegen, der bemängelt, dass es zunehmend viele überflüssige Einsätze gebe. „Mancher mag nicht notwendig sein“, räumt Di Ianne ein. „Aber ich gebe meinen Schülern mit: Wer anruft, macht sich Sorgen und kann meistens den Vorfall nicht so beurteilen wie ein Profi.“ Wenn ein Kind von der Schaukel fällt, sei das für die Eltern schlimm. Da brauche man Fingerspitzengefühl, Vater oder Mutter nach dem Einsatz mitzugeben, dass sie das nächste Mal selbst ins Krankenhaus fahren können.
Seine Motivation, sogar die Freizeit für den Rettungsdienst zu opfern, zieht Pasquale Di Ianne aus den Begegnungen mit den Menschen. „Es gibt nichts Schöneres, als Menschen glücklich zu sehen. Manchmal reicht es, die Leute einfach in den Arm zu nehmen. Das ist das A und O auch in der Notfallseelsorge: zuhören und nahbar sein. Wenn die Leute trotzdem lächeln, wenn wir vor Ort sind, ist das toll.“
Da kann der Sanitäter auch über Schaulustige hinwegsehen, die manchmal die Wege rund um den Rettungswagen versperren. „Neugierige gab es schon immer. Die Medien tragen dazu bei, dass es mehr werden.“ Auf Social Media kursierten mittlerweile erste Aufnahmen vom Einsatzort, noch bevor er dort eintreffe. Die Videos und Bilder ziehen auch Gaffer an. Di Ianne ist überzeugt, dass die meisten den Einsatz jedoch nicht behindern wollen, sondern ihre Neugier stillen. Seinen Schülern gibt er deshalb mit, dass sie den Menschen, die eigentlich im Weg stehen, dennoch respektvoll begegnen. „Eine vernünftige Ansprache auch an Schaulustige ist wichtig, dann entsteht viel mehr Verständnis.“ Deeskalation sei das Wichtigste, insbesondere wenn die Gemüter erhitzt sind.
Nicht alle Einsätze enden mit einem Happy End. „Manchmal sehen wir viel Leid.“ Speziell ausgebildete Teams bieten den Rettungssanitätern psychosoziale Unterstützung an, wenn Einsätze tragisch und tödlich enden. Dem zweifachen Familienvater hilft zudem sein Glauben: „Ich glaube fest, dass alles seinen Sinn hat.“ Wenn Di Ianne Patienten in die Klinik gebracht hat, um die es schlecht bestellt ist, besucht er anschließend noch die Krankenhauskapelle, um für sie zu beten. Wenn dafür keine Zeit bleibt, betet der Sanitäter in einer ruhigen Minute auf der Wache. „Bislang empfinde ich die Arbeit nicht als psychische Belastung.“
Schlimme Erlebnisse machen den Rettungssanitäter vielmehr dankbarer für das eigene Glück. „Ich danke Gott für das, was ich habe und erreicht habe“, sagt Di Ianne. „Eines Tages werde vielleicht auch ich die Hilfe des Rettungsdienstes benötigen. Bei dem Gedanken werde ich demütig. Es kann jederzeit etwas passieren oder das Leben kann zu Ende sein.“ Der Glaube an Gott helfe ihm, sich von solchen Gedanken nicht entmutigen zu lassen.
Aber natürlich gibt es Einsätze, da hadert selbst der Profi. Wenn Kinder schwer verletzt werden oder gar sterben. „Die Frage nach dem Warum, auf die gibt es im Leben nicht immer eine Antwort.“ Das habe er schon in seinem Theologiestudium gelernt. Bevor Pasquale Di Ianne den Weg zum Rettungsdienst einschlug, wollte er nämlich Priester werden und schrieb sich für ein Theologiestudium im Erzbistum Paderborn ein. Rasch legte man ihm dort aber nahe, das Priesteramt nicht weiterzuverfolgen. „Ich hatte meine Meinung, insbesondere, was das Zölibat betraf, und ich stand dazu", resümiert er. Der junge Mann packte enttäuscht die Koffer. Zurück im Vest kam ihm die Idee, Rettungssanitäter zu werden: „Auch dabei kann ich Menschen helfen und glücklich machen.“ Bald darauf lernte er seine zukünftige Frau kennen, sie gründeten eine Familie. „Ich sag doch: Alles hat seinen Sinn. Und jetzt hat es noch mehr Sinn.“
Denn seit kurzem wohnt Familie Di Ianne im Recklinghäuser Stadtteil König Ludwig. Dort besuchen sie regelmäßig den Gottesdienst in der Gemeinde St. Antonius. Schon nach den ersten Kirchenbesuchen hat ihn Pastor Aloys Wiggeringloh angesprochen. Als Neuer fällt man eben auf. „Wir verstanden uns auf Anhieb“, erinnert sich Di Ianne. „Und mittlerweile hat mich der Pfarrer gefragt, ob ich Diakon werden möchte.“
Zwar eine weitere Aufgabe im prall gefüllten Alltag des Wahl-Recklinghäusers, der sich zudem im Pfarrgemeinderat engagiert. „Aber es reizt mich sehr, das nachzuholen, was ich früher werden wollte. Bereits als Kind war der Dienst für die Kirche und an den Menschen mein Traumberuf.“ Damit sei sein Leben fast rund. Sollte das Zölibat eines Tages abgeschafft werden, wolle er doch noch Priester werden. Das habe er seiner Dienststelle schon kundgetan. Sein Chef hofft allerdings für die Feuerwache Herten, dass das nicht so schnell passiert. Mit einem Augenzwinkern ergänzt Di Ianne: „Ich als Priester, das wäre schließlich eine Win-Win-Situation für die Kirche“, sagt er und lächelt. „Wenn jemand vom Weihrauch ohnmächtig wird, kann ich sofort helfen.“
Christine Walther / Christoph van Bürk