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Kreis Recklinghausen: Ansprechbar sein, wenn andere feiern

Ein besonderer Weihnachtsdienst in der Telefonseelsorge: Einsamkeit am Heiligabend, ohne Geschenke auszutauschen oder Zeit mit jemandem zu verbringen - das höre man dann häufig

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An Weihnachten ist man zumeist Zuhause und trifft sich mit den Lieben. Doch das gilt nicht für alle. Einige sind unfreiwillig allein. Manche müssen arbeiten. Unsere Gesellschaft lebt davon, dass Menschen arbeiten, während die anderen feiern. Das trifft nicht nur für professionelle Kräfte bei der Polizei, im Krankenhaus oder im Gastrobereich zu. Es gibt auch freiwillig Engagierte, die keine Sonderzulagen bekommen und dennoch an Weihnachten für andere da sind.

Annika Mühlenbach* ist so jemand. Seit 15 Jahren ist sie Telefonseelsorgerin und ebenso lange trägt sie sich auch in die inzwischen digitalen Dienstlisten für die Weihnachtstage ein. „Die Termine an Weihnachten sind gut besetzt. Da gibt es keine Not bei der Terminvergabe.“ In diesem Jahr habe sie eine Schicht an Heiligabend und eine am ersten Weihnachtstag. Sie entscheide sich dafür, weil neben den üblichen Anliegen an Weihnachten mehr Menschen ihre Einsamkeit zur Sprache brächten: „Ich habe keinen, mit dem ich feiern kann. Ich bin alleine“, höre man dann häufig. „Viele sind traurig und belastet, weil sie niemanden haben, der sie besucht, mit dem sie Zeit verbringen oder Geschenke austauschen. Ich möchte diesen Menschen für ein Gespräch zur Verfügung stehen, auch weil es mir besonders gutgeht.“ Bei ihr seien die Weihnachtserinnerungen aus ihrer Kindheit noch sehr lebendig, so könne sie nachempfinden, was die Anrufenden vermissten. „Aber ich kann auch Einsamkeit nachempfinden, weil ich sie selbst kenne. 

In meinem Leben gab es eben auch Erfahrungen dieser Art.“ Den Menschen tue es zumeist schon gut, wenn ihnen jemand zuhöre oder nachfrage. Darüber hinaus unterstütze sie die Ratsuchenden dabei, zu planen, wie sie sich trotz allem selbst im Kleinen Freuden verschaffen könnten. „Es geht vielleicht nur um einen schlichten, guten Gedanken, um kleine Handlungen, um ein kleines Licht in der Dunkelheit.“ Manchmal sage ich am Ende des Gesprächs auch: „Ich denke an Sie“, oder „Ich zünde für Sie eine Kerze an.“ Mit einem ihrer Sätze bei den Anrufenden ein bisschen Hoffnung zu erwecken, sei ihr Ziel. Dass das nicht immer gelingt, weiß sie. Doch hin und wieder spüre sie, wie ein Funke übergesprungen sei.

Dies sei vielleicht weihnachtlichen auch der Atmosphäre bei den Diensten zu verdanken. Sie selbst gehe schon anders in die Gespräche als das Jahr über. Das habe auch mit der weihnachtlichen Gestaltung der Räume in der Telefonseelsorge zu tun. „Wir haben dort immer einen riesigen, wunderschönen dekorierten Weihnachtsbaum und darunter einen reichlich gefüllten Teller. Zu erleben, mit wieviel Wertschätzung mir begegnet wird, das bewegt mich. Ich komme dabei selbst in eine weihnachtliche Freude, die ich dann den Menschen weitergeben möchte.“ Und wie gehen die eigenen Angehörigen damit um, dass sie zeitweise nicht erreichbar ist? Für die sei das ok. Mit den Jahren hätten sie sich daran gewöhnt. Der erwachsene Sohn frage allerdings schon mal: „Kannst du nicht auch mal was machen, was mehr Spaß macht?“ Natürlich, sage sie dann, sei die Tätigkeit nicht immer leicht, „aber ich weiß, warum ich das tue.“

*Die Mitarbeitenden der Telefonseelsorge bleiben ebenso anonym wie die Anrufenden. Deshalb ist dieser Name erfunden, die Person dahinter aber echt.
Joachim van Eickels