Hintergrund
Im Dezember 2015 beschließt die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Internationalen Tag der Frauen und Mädchen in Wissenschaft. Er wird jährlich am 11. Februar begangen und soll an die entscheidende Rolle, die Mädchen und Frauen in Wissenschaft und Technologie spielen, erinnern.
Ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in den Wissenschaften ist der Abbau der Hindernisse für Mädchen und Frauen im privaten Umfeld sowie im Unterricht und am Arbeitsplatz. Trotz aller Leidenschaft und Begeisterung für die Forschung scheiden besonders nach der Promotion viele Frauen aus der Wissenschaft aus. Die Gründe dafür sind vielfältig: unzureichende Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft, unsichere Perspektiven oder die Karriere des Partners oder der Partnerin. Die Gleichstellung der Geschlechter war schon immer ein zentrales Thema für die Vereinten Nationen und lässt sich auch in den Zielen der Agenda 2030 zur nachhaltigen Entwicklung finden.
Aktuelle Zahlen
Am Verhältnis der Geschlechter hat sich im vergangenen Jahrzehnt kaum etwas geändert. In Deutschland stieg der Frauenanteil im Forschungs- und Entwicklungssektor zwischen 2011 und 2021 von 26,8% auf 29,4%. Besonders in den Forschungsabteilungen deutscher Unternehmen ist der Frauenanteil besonders gering. Im Gegensatz dazu war die Repräsentation von Frauen im Hochschulbereich und im Staatssektor deutlich höher. (Quelle: Destatis)
-Im Gespräch mit Prof. Dr. Angelika Loidl-Stahlhofen
Eine von ihnen ist Prof. Dr. Angelika Loidl-Stahlhofen, Professorin für molekulare Biologie an der Westfälischen Hochschule am Standort Recklinghausen. Dort arbeiten seit kurzem insgesamt vier Professorinnen (Σ 3,5:=3 ganze Stellen +1 halbe Stelle) und acht Professoren (= 7:= 5 ganze Stellen +2 halbe Stellen + 1 Honorarprofessur). Bis vor kurzem waren es 2 Professorinnen und 8,5 Professoren. Ein Aufwärtstrend ist zu verzeichnen. Die Gründe für den Gender Gap gerade in der naturwissenschaftlichen Forschung sieht Loidl-Stahlhofen in der noch immer ungleichen Aufteilung von Carearbeit zwischen Männern und Frauen, v.a. wenn auch Kinder da sind. „Wenn man sich als Frau für eine Geschichte entscheidet, in der man beides will - Familie und Beruf - dann geht das nur mit einem Mann, der deutlich auch Zeit für Kinder und Haushalt aufwendet und zumindest temporär (Elternzeit) ein Stück weit beruflich zurücksteckt.“
Loidl-Stahlhofen nimmt eine gesteigerte Bereitschaft in der Gesellschaft wahr, sich von den Geschlechterstereotypen loszulösen, aber es entwickelt sich sehr langsam. Nur ein Drittel aller Väter nehmen überhaupt Elternzeit in Anspruch und wenn, dann im Schnitt nur für 3,6 Monate; Mütter gehen dagegen im Schnitt 14,6 Jahre in Elternzeit. Längere Zeiten der Abwesenheit im Beruf stellen für junge Frauen, die in der Forschung Fuß fassen möchten, ein größeres Hindernis dar, so Loidl-Stahlhofen. „Forschung und Entwicklung im naturwissenschaftlichen Bereich entwickelt sich so schnell, da ist man dann raus.“
Vor der Professur in Recklinghausen hat Loidl-Stahlhofen in Leipzig gearbeitet und sie betont ganz deutlich, dass für sie eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Forschung nur funktioniert hat, da in Leipzig die Strukturen rund um Betreuungsplätze etabliert waren und ihr Mann sich beruflich zurückgenommen hat. Insgesamt sieht sie die Wiedervereinigung als einen Katalysator für die Möglichkeiten von Frauen in der Forschung. Im ehemaligen Ostdeutschland waren Strukturen zur Förderung von Frauen in Wissenschaft etabliert, die sich der Westen aneignen konnte.
Loidl-Stahlhofen schwärmt von ihrer Tätigkeit in der Lehre und von Studierenden, die sich begeistern lassen. Sie übt seit nun 22 Jahren den Beruf aus, den sie sich vorher immer gewünscht hat. Dennoch gibt es immer wieder den Zwiespalt zwischen Familie und Beruf in der Wissenschaft - Momente, in denen sie das Gefühl hat, die Familie kommt zu kurz und auf der anderen Seite das Wissen, dass eine normale Arbeitswoche nicht ausreicht, um tiefergehende gute Forschung zu betreiben.
Loidl-Stahlhofen sieht, dass es vorwärts geht, auch, dass sich seit ihrem Berufsbeginn bis heute schon einiges getan hat, aber eben auch, dass die Strukturen, um in der Wissenschaft Fuß zu fassen, für Frauen, die eine Familie möchten, weiterhin nachteiliger sind als für Männer. Diese fokussieren sich meist vollumfänglich auf Wissenschaft und Forschung, da die Familiencarearbeit oft überwiegend von der Partnerin übernommen wird nach wie vor eine mehrheitlich praktizierte „Selbstverständlichkeit“. Genau dafür ist der Internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft da: Aufmerksamkeit generieren, damit solche Hindernisse beseitigt werden können. ■Alina Lübbers