geistREich - Kirchenzeitung für Recklinghausen Anzeige

Ruhr-Festspiele: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“

Die ersten „Ruhr-Festspiele“ vor 75 Jahren am 4. Juni 1948 und ihre Vorgeschichte - Einladung zu den Ruhr-Festspielen (Institut für Stadtgeschichte)

Einladung zu den Ruhr-Festspielen (Institut für Stadtgeschichte)

„Brot und Spiele“ hieß es zur Zeit der Cäsaren. Damit wollten die Kaiser ihre Herrschaft sichern. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, ein Zitat der Bibel, setzt dagegen Otto Burrmeister 1951 als Titel über seinen Aufsatz zur Idee der neuen Festspiele.

Der Einladung zur "Eröffnung der Ruhr-Festspiele“ am 4. Juni 1948 durch Oberbürgermeister Wilhelm Bitter und den DGB-Vorsitzenden Hans Böckler war eine Geschichte von Zufällen, Mut, Engagement und der Kraft zur Realisierung einer großen Vision voraus gegangen

Dies geschah angesichts des wirtschaftlichen, politischen und moralischen Zusammenbruchs. Der Kältewinter 1946/47 und der Tiefpunkt der Versorgung mit 750 Kalorien pro Tag und Person hatten katastrophale Folgen: „Der Kampf um die Existenz, um die primitivsten Lebensbedürfnisse zerriss jede Gemeinschaft. Der nackte Egoismus tobte sich aus“ (Otto Burrmeister). In dieser Situation irrten zwei Lkw aus Hamburg durch den Morgennebel. Theaterleute suchten nach dem rationierten "schwarzen Gold“, denn ihre Häuser waren nicht mehr bespielbar und der Theaterhydraulik drohte das völlige Aus. Das Wunder der Begegnung „zweier Welten“ geschah: „In dieser schweren Zeit hatten unsere Kollegen die Kraft und den Mut zu sagen: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Damit meinte der Ruhrfestspiel-Leiter ihr Engagement auch “gegen den sittlichen, gegen den künstlerischen Zerfall.“

Die Künstler erhielten illegal Kohle, aber auch Butterbrote und Erbsensuppen. An deren eklatantem Mangel drohte 1947 der Vorschlag zu scheitern, mit 150 Leuten Dank-Aufführungen auf König-Ludwig zu veranstalten. Zeche und Betriebsrat waren überfordert. Nun übernahm die Stadt mit Wilhelm Bitter Verantwortung, organisierte, stellte den Saalbau bereit und besorgte Privatquartiere. In Bitters Wohnung war Hamburgs Erster Bürgermeister Max Brauer zu Gast. Der Christ- und der Sozialdemokrat verstanden sich trotz damaliger weltanschauliche Gegensätze - in ihrem Engagement für den Wiederaufbau einer Demokratie. Am Vorabend der neun Aufführungen vom 28. Juni bis 2. Juli 1947 brachte Brauer die Vision zur Sprache: Dauerhafte Festspiele - „in Bayreuth und Salzburg - warum nicht auch in Recklinghausen?“

Beide Akteure gingen in den schwierigen Gesprächen „arbeitsteilig“ vor: Brauer gelang es, den DGB unter Leitung von Hans Böckler dafür zu gewinnen. Bitter führte Verhandlungen mit dem neuen Land NRW und fand Unterstützung bei Kultusministerin Christine Teusch (CDU). Am 1. April 1948 unterzeichneten DGB und Stadt den Vertrag der Gesellschaft zur Durchführung der Ruhr-Festspiele mbh. Sitz Recklinghausen“ - ein einzigartiges und folgenreiches Projekt in der Aufbauphase der jungen Republik und für deren demokratische Gestaltung.

Neben Bitter, Böckler, Bauer und Tausch übte auch Kölns Oberbürgermeister Ernst Schwering die Schirmherrschaft der Ruhr-Festspiele 1948 aus, denn nun waren auch Bühnen der Domstadt beteiligt. Einzigartig, so Brauer, waren „Festspiele nicht nur für Literaten und Auserwählte, sondern Festspiele inmitten der Stätten harter Arbeit, Festspiele im Kohlenpott, vor den Kumpels [...]. Und ich könnte mir denken, dass diese neuen Festspiele einen mindestens so tiefen Hunger stillen würden, wie ihn feinsinnige Ästheten empfinden.“

Im Programm vom 5. bis 18. Juni 1948 ragten programmatisch Werke des 1933 emigrierten Carl Zuckmeyer hervor. Schon 1931 hatte sein antimilitaristisches Stück "Der Hauptmann von Köpenick“ die Gegnerschaft der NSDAP befeuert. Nun wurde zusätzlich das erst Ende 1946 in Zürich uraufgeführtes Kriegsdrama „Des Teufels General“ mit René Deltgen in der Hauptrolle aufgeführt. Als Programmidee formulierte der Publizist Walter Dirks die Abwehr “gegen die zerstörerischen Kräfte des Krieges, sie wollen den Machtrausch, die Ausübung der Gewalt unter der Tarnkappe des Patriotismus bloßlegen. Sie setzen dem Willen zur Macht die Überlegenheit der Vernunft, den Triumph des Geistes und die versöhnende Kraft der Liebe entgegen.“ Fast 23.000 Zuschauer folgten.

Ähnlich formulierte Otto Burrmeister sein säkulares Bekenntnis zum Humanismus und zur besonderen Würde des Menschen: [Die Ruhrfestspiele] werben für die Kraft der Überzeugung des Wortes: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Sie rufen damit alle schaffenden Menschen auf, teilzunehmen an den großen Werken unserer Kultur [...], damit die Kraft nicht erlischt, die das Menschengeschlecht zum Licht streben läßt.“ Georg Möllers

www.ruhrfestspiele.de/

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ Mt 4,4

Damit widerspricht Jesus - unter Bezug auf das Alte Testament (Dtn 8,3) - der Versuchung, sein Leben an materiellem Wohlbefinden, Macht oder Prestige auszurichten. Es gibt ein „Mehr“ für den Menschen und wahres Mensch-Sein.