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Christian Kuhlmann: Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen

Fachhochschullehrer für Mathematik und Informatik an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen leitet ein Forschungsteam für Künstliche Intelligenz und kommunale Geoinformationen

Künstliche Intelligenz

ist keine Erfindung der Gegenwart. Schon sehr lange versuchen Menschen, ihr Knowhow an Maschinen zu delegieren, um sich zu entlasten. Doch wie ist der heutige Boom entstanden und welche Voraussetzungen waren dafür nötig? Hier einige Informationen als Hintergrund.

Was ist künstliche Intelligenz?

Der Mathematiker Allen Turing stellte sich schon in den 50er Jahren diese Frage und dachte sich zu ihrer Beantwortung ein Spiel aus: Das „Imitation-Game“. Einem Fragesteller stehen eine Maschine und ein Mensch als Antwortgeber verdeckt gegenüber. Seine These: Gelingt es dem Fragesteller in einer bestimmten Zeit durch Stellen beliebiger Fragen nicht zu entscheiden, wer von beiden die Maschine ist, so imitiert die Maschine ein dem Menschen vergleichbares Denkvermögen. Künstliche Intelligenz beschreibt heute etwas allgemeiner die Wissenschaft von Systemen, die wahrnehmen, schlussfolgern und handeln können.

Tiefe neuronale Netze

haben seit 2010 die Welt der Künstlichen Intelligenz revolutioniert. Erst die leistungsfähigen Computersysteme, und hier ganz besonders Grafikprozessoren (GPU), haben die Berechnung und Optimierung der großen Verbünde künstlicher Neuronen ermöglicht. Tiefe Neuronale Netze sind in der Lage, komplexe Aufgaben auszuführen, etwa Objekte auf Bildern zu erkennen.

Transformer

Die neueste auf die Übersetzung und Generierung natürlichsprachlicher Texte spezialisierte Generation neuronaler Netze ist erst sechs Jahre jung. Ausgestattet mit einer Anzahl von „Aufmerksamkeitsschichten“ lernt das Modell anhand extrem großer Datenmengen eine Repräsentation von Sprache und Wissenszusammenhängen. Damit ist es möglich, dem Modell natürlichsprachliche Fragen zu stellen und eine adäquate Antwort zu erhalten. Bekannte Vertreter dieser Modelle sind etwa ChatGPT der Firma OpenAl oder PaLM 2 von Google. Die Modellgrößen bewegen sich mittlerweile im Bereich von über einer Billion Parameter.


Schöne neue Welt - oder?

Viele reden in diesen Zeiten über Künstliche Intelligenz (KI), doch kaum jemand kann klar benennen, was alles dazugehört. Manche geraten angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, die die Kl verheißt, ins Schwärmen, andere machen sich große Sorgen über ihre noch nicht absehbaren Folgen. Ungeachtet, ob wir mehr Chancen sehen als Risiken: Die künstliche Intelligenz ist da und wirkt sich immer stärker auf unser Leben aus.

„Kl durchdringt unseren Alltag überall“, stellt Dr. Christian Kuhlmann fest und nennt gleich einige Beispiele: „Die Applikationen auf dem Handy, unsere Fahrzeuge sind vielfältig Kl-basiert, wie zum Beispiel der Spurassistent, der das Überschreiten von Linien verhindert, aber auch Fahrkartenautomaten, die Gesichtserkennung. Gestern noch hat Kl in einem Parkhaus das Kennzeichen meines Autos automatisch mit dem ausgedruckten Beleg verbunden.“

Der 57-Jährige arbeitet an der Westfälischen Hochschule im Fachbereich für Elektrotechnik und angewandte Naturwissenschaften. Dort hat er die Professur für Mathematik und Informatik inne. Sein beruflicher Werdegang ist seit Jahrzehnten eng verknüpft mit der Entwicklungs- und Anwendungsgeschichte der Kl. So ist es kein Wunder, dass er bei der Beantwortung auf Fragen zu seinem Fachgebiet seine Leidenschaft für die komplizierten Zusammenhänge kaum verbergen kann. Einzig die weitgehende Ahnungslosigkeit des fragenden Laien zwingen immer wieder zu kleinschrittigen Erläuterungen. Die rasante Entwicklung der Kl stellt der Recklinghäuser als die Folge enormer Fortschritte in der Bereitstellung von Rechenkapazitäten dar.„Leistungsstärkere Computersysteme haben die Grundlage dafür geschaffen, dass mehrdimensionale Netzwerke künstlicher Neuronen sich Schritt für Schritt an die Erfüllung äußerst schwieriger Funktionen annähern.“ Christian Kuhlmann spricht in diesem Zusammenhang von einem zweistufigen Lernen. Zunächst bedarf es einer Lernphase, in der die Maschinen mit Inhalten "gefüttert“ werden, an denen sie Muster und Strukturen zu erkennen lernen. Er nennt das auch die Lern- oder Trainingsphase. Anschließend, in der sogenannten Anwendungsphase bzw. Inferenz- oder Perfomance-Phase, überführen sie angesichts von immer wieder neuem Datenmaterial das erworbene Wissen in sich dabei stetig weiterentwickelnde Funktionsmöglichkeiten. Dabei lernt die Kl eigenständig neue Aufgabenstellungen und Problemlösungen.

Zur Veranschaulichung bietet der zweifache Vater ein Beispiel an: „Eigentlich ist das wie in einem guten Unterricht in der Schule oder an der Universität: Lehrende bieten den Lernenden Musteraufgaben an, mit denen diese neue Techniken und Lösungswege kennenlernen. Anschließend bekommen sie Daten und Materialien, zu denen sie selbstständig Aufgabenstellungen und Problemlösungen entwickeln müssen.“

In diesem Sinne könne man also die Studierenden quasi als Modell für die Systeme maschinellen Lernens verstehen. Die Kl imitiere auf diese Weise das menschliche Lernen. "Mit welchem Erfolg das gegenwärtig passiert, kann man an der großen Aufmerksamkeit für ChatGPT vom Anbieter OpenAl festmachen. Es ist in aller Munde und dabei, unsere Wirklichkeit zu verändern.“ In den Schulen macht man sich schon über die Folgen Gedanken. Die Leistungsbewertung muss durch die auch für Schüler und Schülerinnen leicht zugänglichen Errungenschaften der Kl völlig neu geordnet werden, damit es weiterhin zu gerechten Beurteilungen kommen kann. Der Hochschullehrer steht der Entwicklung von Kl offen gegenüber. „Wir werden dadurch auf Dauer sehr profitieren. In vielen Bereichen wird sich unser Leben vereinfachen, weil uns Kl viele lästige Aufgaben abnehmen kann.“ Außerdem habe sich bereits herausgestellt, dass wir durch KI selbst hinzulernen können.

Der Schachcomputer Deep Blue beispielsweise habe schon 1997 nicht nur einen der damals besten Schachspieler der Welt, Garri Kasparov, geschlagen. Er habe auch kreative Varianten des Schachspiels aufgezeigt, die schließlich zu einem modernen Trend in der Schach-Szene geführt hätten. Die Kl habe uns Menschen aber noch nicht überflügelt. "Im Moment sind wir in vielen Bereichen noch gut in der Lage, menschliche und Kl-unterstützte Leistungen zu unterscheiden. ChatGPT macht zum Beispiel noch viele Fehler und gibt sie nicht zu. Das wird sich in Zukunft aber ändern. Es wird darauf ankommen, wie wir dann damit umgehen.“ Schon jetzt gebe es eine Reihe von Problemen, bei denen eine Diskussion über mögliche und notwendige Regulierungen durchaus angebracht seien. Die Forschung sei schon jetzt nicht unabhängig, insofern sie finanziell von der Wirtschaft abhängig sei, wie man es an den Internet-Riesen sehen könne. "Es muss gerechterweise allen möglich sein, Zugang zu Kl-Leistungen zu haben, nicht nur denen, die finanzstärker sind.“

Ein anderes Problem liege darin, dass man die unfassbaren Daten-Mengen, die den Maschinen in der Lernphase zu Verfügung gestellt würden, schon jetzt nicht mehr kontrollieren könne. So könne es passieren, dass rassistische oder sexistische Daten, Hate-Speech, Fake-Positionen etc. eingespeist würden und dann nachher natürlich auch unbedarften Nutzern zur Verfügung stünden. Kl sei in dem Zusammenhang eine Katastrophe für die Menschen in totalitären Systemen. „Da sind wahrlich viele graue Wolken am Himmel. Doch für mich ist das eine Frage des eigenen Weltbildes. Ich habe immer noch ein Vertrauen in die Menschheit, dass wir auch Lösungen für dieses Probleme finden.“ Joachim van Eickels

Prof. Dr. Christian Kuhlmann

Prof. Dr. Christian Kuhlmann

57 Jahre alt 
Verheiratet, zwei Kinder 
Wohnt in Recklinghausen

Fachhochschullehrer für Mathematik und Informatik an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen

Leitet ein Forschungsteam für Künstliche Intelligenz und kommunale Geoinformationen