,,Ich bin der schlimmste Mensch der Welt" - das sagt man in Norwegen, wenn man selbstironisch seine eigenen Fehler auf die Schippe nehmen will. Wenn man diese Bedeutung nicht kennt, kann einen der Titel des Films ,,Der schlimmste Mensch der Welt" schon ganz schön in die Irre führen, denn die Protagonistin des Films Julie, gespielt von Renate Reinsve, ist keinesfalls ein schlimmer Mensch. Die 30-jährige Norwegerin ist im Gegenteil eine ganz normale Europäerin ihrer Generation, die zwischen gesellschaftlichen Konventionen versucht, ihren Weg zu ihrem Glück zu finden. Dabei springt sie von Beruf zu Beruf und von Mann zu Mann; studiert erst Medizin, dann Psychologie und wird schließlich Fotografin. Sie trifft den faszinierenden Comicbuchautor Aksel und lässt ihre vorherige Affäre für ihn stehen.
Während Aksel mehr und mehr Karriere macht, arbeitet Julie mittlerweile als Verkäuferin in einem Buchladen und versucht sich nebenher als Journalistin. Als sie auf einer Party Eivind kennenlernt, der als Barista in einem Café arbeitet, spürt man automatisch den in ihr aufkeimenden Zweifel, ob ein einfacheres Leben mit Eivind ihr nicht eher entsprechen würde.
Der Film des norwegischen Regisseurs Joachim Trier ist der letzte Film seiner Oslo-Trilogie, die lediglich thematisch miteinander verbunden sind, jedoch nicht aufeinander aufbauen. Alle drei Filme kreisen um die Millennial-Generation auf der Suche nach Erfüllung: Kreativ und in vielem abgesichert, aber dennoch stets nah an der Melancholie, da finale Zufriedenheit nie erreicht wird.
Für mich als Millennial ist der Film ,,Der schlimmste Mensch der Welt" das perfekte Abbild unserer Generation. Genau deswegen hat mich dieser Film, wie kaum ein anderer direkt ins Herz getroffen. Selten konnte ich mich so hautnah in eine Rolle hineinversetzen. Die Suche, auf der sich Julie befindet, ist wohl die Suche einer ganzen Generation. Mit der Welt zu Füßen liegend, fällt es immer mehr jungen Menschen schwer, ihren Platz im Leben zu finden. Die Möglichkeiten, die sich uns bieten, machen es nicht leicht, sich festzulegen. Ständig bleibt das Gefühl, etwas anderes könnte einen vielleicht glücklicher machen. Fast macht sich Trier in diesen Momenten lustig über die urban-hippe Mittelklasse, die sich in diesem Konflikt befindet, weil es doch so banal erscheint. Dennoch nimmt er die Protagonistin Julie in ihren Zweifeln stets ernst, was dem Film eine große Melancholie und Sehnsucht verleiht.
Wir alle streben nach Selbstverwirklichung und wollen oft noch mehr sein als nur wir selbst. Dabei finden wir uns hin- und hergerissen zwischen Sozialgewissen, Umweltbewusstsein, Diversität, Gleichberechtigung, Familiengründung und Karriere, was im schlechtesten Fall in völliger Überforderung und Orientierungslosigkeit mündet. Der Druck, den wir dabei erleben, spiegelt sich gut in Julies und Aksels Beziehung wider. Während Aksel mit seinen Comics immer mehr an Erfolg gewinnt, fühlt Julie sich immer kleiner neben ihm. Durch die schier unendlichen Möglichkeiten, die uns geboten sind, ist der Druck umso größer, sie auch alle zu nutzen. Verstärkt wird dieser Druck durch die Öffentlichkeit, in der sich unser Leben durch die Nutzung sozialer Medien immer mehr befindet.
Wir wollen alles sein, wir könnten auch alles sein, aber vielleicht müssen wir nicht alles sein. Hanna Hülsmann
Filmdaten
ORIGINALTITEL: VERDENS VERSTE MENNESKE
PRODUKTIONSLAND: Norwegen/Frankreich/Schweden/Dänemark/USA
PRODUKTIONSJAHR: 2021
REGIE: Joachim Trier
BUCH: Joachim Trier. Eskil Vogt
DARSTELLER: Renate Reinsve, Anders Danielsen Lie, Herbert Nordrum, Maria Grazia Di Meo, Hans Olav Brenner
LÄNGE: 128 Minuten
KINOSTART: 02.06.2022
PÄDAGOGISCHE EMPFEHLUNG: Sehenswert ab 14
GENRE: Drama | Komödie