Das Bistum Münster will sich für die Zukunft fit machen. Doch wie kann das unter veränderten Bedingungen aussehen? Regionalbischof Rolf Lohmann und Dr. Stephan Kronenburg, Pressesprecher und Leiter der Abteilung Medien und Öffentlichkeitsarbeit des Bistums, wirken in unterschiedlichen Funktionen auf die anstehenden Entwicklungen ein.
Wie erleben Sie im Moment die Situation der katholischen Kirche in unserem Bistum?
Lohmann (L): Wenn ich die kirchliche Situation, auch im Bistum Münster, in den Blick nehme, sind wir insgesamt in einer schwierigen Ausgangslage. Das Vertrauen nimmt stark ab. Wir können das an den hohen Kirchenaustrittszahlen festmachen. Das macht mir große Sorgen. Zudem erleben wir im Moment viele Strukturprozesse, die zwar notwendig sind, um uns für die Zukunft aufzustellen, bei den Menschen vor Ort aber viele Fragen nach dem Wie und Warum aufwerfen. Andererseits erlebe ich aber auch den starken Willen, dass Menschen sich aufmachen und sich den Mut nicht nehmen lassen. Dankbar bin ich gerade für die, die mit innovativen Engagement bei der Sache sind und bleiben.
Kronenburg (K): Die Strukturprozesse, die Sie, Herr Weihbischof ansprechen, dienen ja dazu, den Rahmen zu schaffen, den das Bistum inhaltlich und personell braucht, um sich neu aufzustellen und zukunftsfähig zu machen. Es wird eine andere Kirche sein. Ich erlebe viel Aufbruch, Engagement und positive Energie. Das macht mir Mut.
Wo sehen Sie Probleme und Herausforderungen, für die ein dringender Handlungsbedarf seitens der kirchlich Verantwortlichen besteht?
L: Die Menschen benennen Probleme, stellen Fragen. Nehmen wir das ernst? Wollen wir das hören? Ich beschränke mich nicht nur auf die, die noch kommen. Wir brauchen den Dialog mit denen, die nicht kommen oder schon ausgetreten sind. Es ist herausfordernd, deren Hintergründe kennen zu lernen. Was ist ihr Bild vom Glauben und für eine lebendige Kirche? Da müssen wir gut zuhören. Ein Beispiel: Kürzlich kam ich mit einer Schülerin der zwölften Klasse ins Gespräch. Sie hatten gerade das Thema Kirche im Unterricht. Deshalb habe sie mal wieder einen Gottesdienst besucht. Sie habe sich im Kirchenraum nicht wohlgefühlt. Zudem wäre es eine „Altenveranstaltung“ gewesen. „Ich bin mit meinem Leben da nicht vorgekommen“, sagte sie. Das klang überhaupt nicht despektierlich. Dieser Hinweis zeigt: Wir brauchen Gottesdienste, die Türöffner sind.
K: Das Beispiel zeigt für mich auch, dass wir bei allem, was wir tun, an den Lebenswirklichkeiten der Menschen anknüpfen sollten. Durch Umfragen kennen wir die Themen, die Menschen stark bewegen: Migration, Inflation, Krieg … Wie bringen wir uns bei diesen Themen ein? Machen wir das ausreichend? Spüren die Menschen, dass wir als Kirche nahe an ihrem Leben, ihren Sorgen, Wünschen und Hoffnungen dran sind?
Welche Haltung nehmen Sie im Hinblick auf den künftigen Umgang mit der großen Anzahl von Immobilien ein? Wie definieren Sie eine gesunde Balance zwischen dem Abbau und der Entwicklung von Immobilien? Was kann weg?
L: Das ist ein ganz schwieriger Punkt. Ich komme aus einer Zeit, in der es selbstverständlich war, viele Immobilien zu haben: Kirchen, Pfarrheime, Kindergarten etc. Wir sehen aber, dass das so nicht mehr geht.
Ein Beispiel: Am Niederrhein wurde eine katholische Kirche geschlossen. Die evangelische Gemeinde hat die katholische Gemeinde in ihrer Kirche aufgenommen, nebst Tabernakel, Hochaltar und Heiligenbild. Das Bistum will für die beiden Gemeinden nun das Pfarrheim bauen. Das zeigt mir: Wir brauchen eine ökumenische Zusammenarbeit in der Frage der Gebäude, wir brauchen auch eine Zusammenarbeit mit den Städten und Kommunen. Wir müssen im Dialog mit den Gemeinden fragen: Welche Immobilien brauchen wir, damit Kirche vor Ort lebendig und wirksam sein kann? Wichtig bei allen Immobilienplanungen ist dabei auch, dass sie nachhaltig erfolgen. Dies kann aber nur im Dialog mit den Gemeinden geschehen.
K: Und dieser Dialog bezüglich der Immobilien, den Sie, Herr Weihbischof ansprechen, sollte immer, wie Sie sagen, von pastoralen Überlegungen geleitet sein. Welche Immobilien brauchen wir, um vor Ort eine lebendige Kirche zu sein? Das kann von Ort zu Ort sehr unterschiedlich aussehen. Nur um der Gebäude willen, brauchen wir die Gebäude nicht.
Die meisten Pfarreien sind finanziell am Limit. Ist mit Blick auf die Finanzierung von Immobilien und Personal überhaupt noch Geld vorhanden, um innovative Projekte zu ermöglichen?
L: Bei unseren jetzigen Strukturprozessen darf es nicht nur darum gehen, Kirche abzuwickeln. Die Frage lautet: Wo möchten wir wirklich Akzente setzen? Dabei ist das Ehrlichmachen nötig. Wieder ein Beispiel: Mir scheint es wichtig, dass der Areopag, eine ehemalige Kneipe, als Anlaufstelle für junge Leute bestehen bleibt. Ein weiteres Recklinghäuser Beispiel ist für mich das Filmfestival: Hier sind wir als Kirche in der Recklinghäuser Gesellschaft sehr präsent, es werden zentrale – auch theologische Fragen – angesprochen, aber in einem Format, das Menschen erreicht, an die wir mit unseren traditionellen Angeboten nicht ran kommen. Es wäre schade, wenn wir so etwas nicht mehr machen könnten.
Wichtig ist mir insgesamt insbesondere, den Dialog mit der jungen Generation weiterzuführen.
Dafür werden wir Ressourcen brauchen, personell, wie finanziell. Das muss auch Geld kosten dürfen. Dann muss aber an anderer Stelle gespart werden. Wir können nicht überall alles aufrechterhalten. Eine reine Abwicklung wäre gegen den Auftrag des Evangeliums.
K: Weil das so ist, wie Sie, Herr Weihbischof, sagen, wickeln wir auch nicht ab, sondern wir bemühen uns, die Kirche umzubauen und im Blick auf die Zukunft neu aufzustellen. Sicher werden die finanziellen, personellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für das Wirken der Kirche schwieriger, das ändert aber doch nichts am Kern, nämlich, dass wir glauben, die beste Botschaft überhaupt zu haben. Und bei der Weitergabe dieser Botschaft müssen wir innovativ sein und Prioritäten setzen, auf Bistumsebene ebenso wie in Gemeinden, Pfarreien und Pastoralen Räumen. Dann müssen wir aber auch sagen: Was machen wir nicht mehr. Daran kommen wir nicht vorbei. Alles so weiter zu machen wir bisher, wäre falsch. Wenn wir den Mut haben, uns von bisher Vertrautem zu verabschieden, werden auch Ressourcen frei für neue, innovative Projekte. Zum Beispiel für Projekte, die die 95 Prozent Kirchenmitglieder, die nicht zum Sonntags-Gottesdienst gehen, erreichen.
Inwieweit sehen Sie den aktuellen Umbau der katholischen Kirche als an den Bedürfnissen der Menschen orientiert? Wie werden die Anliegen der „Kundschaft“ aufgenommen?
L: Das heißt für mich zuzuhören: Ich möchte die Anliegen der Menschen verstehen. Die Frage ist etwa: Liegt mir ernsthaft etwas daran, zu verstehen, warum jemand aus der Kirche ausgetreten ist? Interessiert mich das, was ein 26-jähriger junger Mann, der vielleicht bald eine Familie gründet, denkt? Will ich hören, wie die 17-jährige Messdienerin über die Dinge denkt, wenn sie mir ihr Bild vom Evangelium preisgibt? Wir müssen ehrlich eingestehen, dass zur Zeit nicht alles gelingt, aber ich habe wirklich ein großes Interesse an unserer „Kundschaft“.
K: Dieses Interesse müssen die Menschen spüren und erfahren. Dafür müssen wir genau hingucken und zuhören. Welche „Kunden-Gruppen“ haben welche Bedarfe? Wir müssen uns weniger um uns selbst drehen, sondern müssen uns in Wort und Tat stärker an diesen Bedarfen ausrichten.
Welche inhaltlichen Impulse braucht eine Kirche der Zukunft?
L: Ein großer Schwerpunkt muss für mich sein: Wir haben die Botschaft Jesu und die Botschaft des Kreuzes. Wir glauben an einen Gott, der in den Krisen da ist: Corona, Migration, Erstarken von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Als Kirche müssen wir in den Krisen an der Seite der Menschen sein, wir müssen die manchmal auch unbequeme Botschaft Jesu, der immer die Menschen im Blickpunkt hält, menschlich und praktisch verkünden. Wir müssen für die Menschen da sein. Und wir haben die Gottesfrage wachzuhalten. Wie kann ich von Gott her denken, reden und handeln? Möchte ich, dass das ein Impuls in unserer Gesellschaft bleibt?
K: Und der zentrale Impuls, den Sie, Herr Weihbischof ansprechen, lautet für mich: Wir verkünden die Frohe Botschaft. Diese Botschaft ermutigt, befreit und entlastet. Die Krisen, die Menschen erleben, sind nicht nur global, sondern auch sehr persönlich. Was bleibt einem Menschen in einer existentiellen Krise, wenn er den Glauben nicht hat? Welche Bedeutung kann der Glaube in diesen Situationen haben? Wenn man in solchen Situationen – oft auch im Kontakt mit Seelsorgenden – spüren kann: Die Krise, so existenziell sie auch sein mag, hat nicht das letzte Wort, dann kann das ermutigend und befreiend sein.
Was soll die Öffentlichkeit vom Bistum Münster verstanden haben? Welches Bild, welche Botschaft sollte sich in den Köpfen verankern?
L: Der Claim unseres Bistums drückt es treffend auch: „Für dein Leben gern.“ Daran sollten wir uns messen lassen. Das steht für alle Dimensionen, die Leben haben kann. Ich wünsche mir, dass sich die Menschen im Bistum Münster, in den Gemeinden und Einrichtungen wohlfühlen, dass sie gerne auf unsere Angebote zurückgreifen und sie als wohltuend erleben. Der Claim ist richtig, aber wir müssen mehr tun, damit er Wirklichkeit wird, damit die Menschen in Recklinghausen und im ganzen Bistum Münster Kirche so erfahren.
K: Das ist auch für mich der entscheidende Punkt. Wir möchten eine Kirche der Beziehung sein, die im Geiste Jesu ist. Damit geben wir den Menschen ein Versprechen. Das müssen wir halten. Wenn Menschen diese Erfahrung machen, werden sie spüren, wie sehr der Glaube ihr Leben bereichern und befreien kann.
L: Und damit das gelingt, müssen wir aus alten Verkrustungen herauskommen, die nicht befreiend sind. Diese Verkrustungen müssen wir aufbrechen. Unsere Glaubwürdigkeit wird davon abhängen, wie wir das schaffen. Joachim von Eickels