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Bürgermeister von Schmalkalden im Interview: "Es gibt kein besseres Staatssystem"

Thomas Kaminski: "Die Herausforderung besteht darin, dass unsere wunderschöne Innenstadt auch der Mittelpunkt unserer Stadt mit Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistung bleibt oder wieder wird."

THOMAS KAMINSKI - SPD-Mitglied -verheiratet - drei Kinder - Rechtsanwalt - seit 2006 Bürgermeister von Schmalkalden - 2024 mit 66,1% wiedergewählt

Noch einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wiederwahl als Bürgermeister. Welche Herausforderungen werden die Schwerpunkte Ihrer Arbeit sein?
In den vergangenen 30 Jahren wurde sehr stark in Infrastruktur, Erhalt der historischen Bausubstanz, Sportanlagen, Kitas und Bildungseinrichtungen investiert. Die Herausforderung besteht darin, dass unsere wunderschöne Innenstadt auch der Mittelpunkt unserer Stadt mit Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistung bleibt oder wieder wird. Außerdem entwickeln wir zwei Gewerbegebiete, um jungen Menschen ein vielfältiges und optimales Arbeitsplatzangebot zu unterbreiten, aber auch Rückkehrer und Zuwanderer werden dadurch angesprochen. Wir stemmen uns gegen den demographischen Wandel.

Die Kommunen sind die Basis unserer Demokratie. Teilen Sie die Klage über die Anspruchshaltung der Bürgerschaft ein Defizit an Eigeninitiativen?
Diese Wahrnehmung habe ich nicht, sondern es steigt die Bereitschaft, sich zu engagieren und auch private Belange hintenanzustellen. Diese Personen schätzen die Bemühungen der Stadt. Allerdings gibt es auch diejenigen, die sich früher schon nicht eingebracht haben. Sie bekommen heute mehr Aufmerksamkeit durch die sozialen Medien. Wichtig ist, dass auch sie einbezogen werden.

Können Sie besonders positive Beispiele ehrenamtlichen Engagements nennen?
Besonders engagiert sind unsere Vereine. Von hier kommen neue Impulse. Es gibt aber nicht die Forderung, alles neu zu finanzieren, sondern sie engagieren sich mit städtischer Unterstützung: Ein Verein baut eine Beachvolleyballanlage, ein Tischtennisverein hat einen Teil einer alten Industriehalle überlassen bekommen und umgebaut; andere fallen positiv auf durch den Betrieb von Wanderhütten und Ausflugszielen, die Anlage von Baumalleen, Natur- und Landschaftspflege, die Ausrichtung von Veranstaltungen oder soziale Projekte. Wir würdigen ehrenamtliches Engagement einmal im Jahr mit der Schmalkalder Rose.

Welche Bedeutung hatte die 1150-Jahr-Feier für die Bürgerschaft?
Es gibt kaum etwas, was die Bürgerschaft mehr verbindet als ein großes und gelungenes Fest. Es waren viele tolle Begegnungen gespickt mit musikalischen Höhepunkten. Schmalkalden war trotz aller Diskussionen im politischen Bereich wieder gefühlt eine Stadt.

Kommunen fühlen sich oft durch die Umsetzung von Bundes- oder Landesgesetzen überfordert. Sehen Sie dieses Problem und wie gehen Sie damit um?

Wir leben in einer immer komplizierteren Welt. Auch die Gesetzesfülle trägt dazu bei. Da gibt es die Datenschutzgrundverordnung. Die IT-Konzerne lassen sich mit einem Mausklick von den Bindungen befreien. Eine Verwaltung hat aber bei jedem Vorgang Regelungen zu beachten. Und am Schluss wundert sich sogar die Hundertjährige, weshalb der Bürgermeister nicht zum Geburtstag gratuliert.

Gute Juristen oder Verwaltungsmitarbeiter kennen die Bandbreite dessen, was möglich und zulässig ist, nicht nur die enge Auslegung. Um das aber zu leben, braucht es entsprechende Schulungen und eine entsprechende Grundhaltung. Dienst nach Vorschrift ist keine Option, schon gar nicht in der Kommunalpolitik.

Den Tag der Einheit werden Recklinghausen und Schmalkalden traditionell gemeinsam feiern. Was ist Ihre Botschaft zum 35. Jahrestag dieser Partnerschaft?
Wir sollten dankbar über den Verlauf der friedlichen politischen Wende sein und die Entwicklung in 35 Jahren. Alle Beteiligten mussten hierfür Opfer bringen.

Es wäre jetzt an der Zeit zu erleben, was wir gemeinsam  - und nicht der Osten oder der Westen - schaffen können. Wir sollten uns noch häufiger über Erfahrungen, politische Meinungen aber auch private Dinge austauschen. Missverständnisse entstehen entweder durch Vorurteile oder Unkenntnis. Unsere Partnerschaft ist darauf angelegt, beides zu vermeiden oder zu beseitigen.

Ich wünsche mir, dass wir die Erfahrungen nicht als normalen Verlauf der Geschichte schulterzuckend zur Kenntnis nehmen, sondern die Einheit auch heute noch als Chance begreifen. Aus unseren Fähigkeiten im Bereich der Forschung, Industrie, Dienstleistung sollten wir beste Produkte„Made in Germany“ machen, die über gute PKW hinausgehen. Die Themen Energiewende, Recycling und Robotic haben gerade für unseren Wirtschaftsstandort ein unendliches Potential. Lasst uns nicht darüber diskutieren, was gerade nicht so gut läuft. Lasst uns lieber Dinge tun, die die Welt besser machen. Habt Ambitionen und Träume und verwirklicht diese! Das Geheimnis für eine erfolgreiche und einvernehmliche Zukunft liegt in drei Buchstaben: T-U-N.

Schulen aus beiden Städten sind auf den Weg zu einer Partnerschaft. Was ist Ihre Hoffnung angesichts solcher Kontakte junger Leute?
Gerade die jungen Leute müssen sich kennen lernen und austauschen. Sie müssen sich trauen, Neues zu probieren. Und sie brauchen Vertrauen untereinander. Hierfür ist der Schüleraustausch ein sehr gut geeignetes Mittel. Schülerinnen und Schüler denken nicht in West und Ost. Sie kennen nur ein vereintes Deutschland. Und das ist gut so. Die Schulpartnerschaft wird dies noch verstärken.

Die Wahlergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen haben bundesweit und international Schlagzeilen gemacht. Der in Thüringen aufgewachsene Wolfgang Thierse reagierte darauf mit der Frage: Woher kommt diese Wut? Worin sehen Sie die Ursachen dieser politischen Entwicklung?
Es ist immer schwierig aus der Position einer Minderheitsregierung heraus ein Land nach vorne zu entwickeln. Und eine Demokratie funktioniert nur mit einer positiven Entwicklung oder der Hoffnung darauf. Stillstand beendet die gemeinsame gesellschaftliche Vision. Wenn dann noch bundespolitische Verwerfungen die Zufriedenheit sinken lassen, suchen die Wähler einen Ausweg oder zeigen zumindest die gelbe Karte. Ich sehe hierin keine Wut und nehme dies auch nicht so auf unseren Straßen wahr. Es ist vielmehr die Unzufriedenheit darüber, wie Politiker untereinander häufig respektlos kommunizieren und dabei Sachfragen aus den Augen verlieren. Wenn hier Wut im Spiel wäre, wäre die Wahl nicht so geräuschlos gewesen. Dann hätten wir davor und danach andere Bilder gesehen.

Wie bewerten Sie die Folgen für Thüringen oder darüber hinaus?
Wir haben in Thüringen und in der Bundesrepublik genug Themen und Probleme, die auf eine Lösung warten. Zuerst muss unbedingt wieder Vertrauen in die Politik hergestellt werden. Danach braucht es eine klare Idee über die Ziele des politischen Handelns. Ich hoffe nicht, dass sich Menschen von Thüringen als Tourismusstandort oder Wirtschaftsstandort abwenden. Wäre dies der Fall, würde die deutliche Mehrheit der Bürgerschaft bestraft, die das für Aufsehen sorgende Wahlergebnis nicht herbeigeführt hat. Je mehr isoliert würde, desto größere Ausschläge sind dann in Zukunft zu erwarten. Manchmal wäre eine feste tröstende Umarmung besser als die vielen „guten“ Ratschläge in den überregionalen Medien. Ich bin überzeugt, dass die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konfliktlinien nicht zwischen Ost und West verlaufen, sondern zwischen Ballungsräumen und dem ländlichen Raum.

Wenn Sie die Freiheitsbewegung in der damaligen DDR betrachten, aus der auch die Einheit erwuchs. Wo steht unser demokratisches Deutschland heute?
Nahezu alle demokratischen Länder der Erde sind aktuell einem Stresstest ausgeliefert - allen voran die USA. Das liegt daran, dass die wichtigen Dinge einer Demokratie, nämlich alle Freiheitsrechte, als selbstverständlich gesehen werden. Durch den großen Druck aus den Transformationsprozessen heraus und dem Eindruck einer gewissen Planlosigkeit werden Entscheidungsfindungsprozesse langwierig. Dann erscheinen Staaten wie China schneller und effizienter. Die Demokratien haben hierauf noch keine befriedigende Antwort gefunden. Allerdings sind Demokratien auch sich fortlaufend entwickelnde und lernende Systeme, weshalb ich fest daran glaube, dass in der aktuellen Krise auch die Chancen für Neues liegen. Es gibt aus meiner Sicht aktuell kein besseres Staatssystem. Allerdings müssen wir die Vertrauenskrise durch kluges politisches Handeln unbedingt überwinden.

Georg Möllers
Fotos vom Treffen der beiden Partnerstädte: Stadt Schmalkalden