Meine sehr geschätzte Deutschkollegin Petra kam zur Pause grummelnd ins Lehrerzimmer und steuerte auf mich zu. „Was lernen die eigentlich bei Dir im Religionsunterricht?!“
Bevor ich überhaupt etwas erwidern konnte, eröffnete sie mir den Grund ihres Ärgers: „Mein Deutsch-Leistungskurs besitzt kaum Grundwissen in biblischen und religiösen Fragen. Ich muss denen nun erst einmal all das beibringen, was die eigentlich bei Dir gelernt haben sollten. Wie sonst sollen die Literatur verstehen?“ Statt mich für meinen Religionsunterricht zu entschuldigen oder ihre Unterstellung abzuwehren, kamen wir schnell auf gemeinsame Sichtweisen. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen: Auch moderne literarische Texte und Theaterstücke kann man meist nur vollständig verstehen, wenn man die biblischen Bilder, Geschichten und Mythen kennt. Immer wieder werden sie in den verschiedenen Kunstgattungen mehr oder weniger offensichtlich zitiert, variiert oder ins Gegenteil verkehrt. Die Grundfragen des Menschseins sind schließlich nicht eine Erfindung der Jetzt-Zeit. Schon zu biblischen Zeiten stellten die Menschen sich Fragen, die der Philosoph Immanuel Kant vor fast 300 Jahren so formulierte: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Auch wenn diese vier berühmten Fragen einfach klingen, so ist es den Menschen bis in die heutige Zeit nie leicht gefallen, sie zu beantworten.
Die gerade begonnenen Ruhrfestspiele sind eine Einladung, sich neu diesen Fragen zu stellen. Olaf Kröck, ihr Intendant, äußerst sich in dieser Ausgabe ausführlich über das Verhältnis von Kunst und Kirche, von Kultur und Religion, von Ethik und Moral. Um Moral geht es auch bei der Verhältnisbestimmung von Kirche und sexueller Vielfalt und wohl auch bei der Frage auf der Panoramaseite: Wie hältst Du es mit der Europawahl?
Ihnen allen einen schönen Wonnemonat Mai und eine gute Lektüre.
Mit herzlichen Grüßen, auch in Namen der Redaktion
■ Joachim van Eickels