Noch immer faszinieren sie: Königliche Hochzeiten, Fürstinnen, ihr glanzvolles Leben und ihre Skandale. An wen werden sich Menschen in 800 Jahren noch erinnern? „Eine von ihnen (?)“ ist Namensgeberin von vier Krankenhäuser im Vest: Mehr als ein Name – ein Anspruch.
Sie war eine „glänzende Partie“, die 1207 geborene Tochter des ungarischen Königspaars. Die Kehrseite: Aus politischen Gründen zog sie bereits im Alter von vier Jahren mit großem Gefolge an den Hof ihres zukünftigen Gatten: Die Wartburg der Landgrafen von Thüringen gehörte damals zu den „ersten Adressen“: Macht, Ansehen, Kunst und Kultur versammelten sich „bei Hofe“.
Die Chance für die hier aufgewachsene attraktive junge Landgräfin für „große, hoheitsvolle Auftritte“. Elisabeth von Thüringen aber steht der Sinn nach Gerechtigkeit und Menschlichkeit gegenüber denen, die nicht eingeladen sind. Sie ist unterwegs, um Arme und Kranke zu besuchen.
Schlimmer noch: Sie öffnete in der Hungersnot 1226 die Speicher der Burg, sodass bei Hofe „Mangel“ herrscht. Und Jahrhunderte vor der Idee eines „Lieferkettengesetzes“ fragt sie nach Gerechtigkeit angesichts des Zuflusses an Abgaben, die die Untertanen dem Hof entrichten müssen. Hat sie Zweifel an der Fairness rührt sie die Speisen nicht an, stört die Feierstimmung der Adelsgesellschaft und macht ein „schlechtes Gewissen“. Das ist schon schwierig genug, solange Ludwig von Thüringen, mit dem sie seit 1221 verheiratet war, trotz mancher Zweifel hinter ihr steht. Als er auf einem Kreuzzug stirbt, schlägt das höfische Establishment zu:
Elisabeth wird mit ihren drei kleinen Kindern mittellos von der Burg vertrieben und lebt zeitweilig in einem Schweinestall. Später geling es Verwandten, für sie das Witwengut zu erstreiten, das ihr zusteht.
Sie ist wieder vermögend und – mehr noch – sie steht vor der damals „größten Chance“ ihres Lebens: Der verwitwete Kaiser Friedrich II. macht ihr einen Heiratsantrag: Doch statt Kaiserin zu werden, entscheidet sie sich endgültig für ein Leben für und mit den Armen: Ihr Vermögen stiftet sie für den Aufbau eines Armenhospitals mit einer Franziskuskapelle in Marburg. Statt kaiserlicher Prunkgewänder trägt sie die einfache Kleidung der franziskanischen Armutsbewegung. Sie selbst wäscht, säubert und versorgt die Kranken. Auch der Versuch ihres königlichen Vaters, sie wieder an seinen Hof zu holen, scheitert.
Als Elisabeth im Alter von nur 24 Jahren stirbt, gilt sie den Menschen als Vorbild. An ihrer Beisetzung am 19. November 1231 nahm selbst Friedrich II. teil. Nach der Heiligsprechung 1235 wird deshalb der 19. November als Namenstag begangen. Über ihrem Grab beginnt im selben Jahr der Bau der ersten gotische Kirche nördlich der Alpen. Die Bildsprache des Sarkophags in der Elisabethkirche zeigt sie nicht nur in Begleitung von Heiligen, sondern auch mit Bettlern, Beinamputierten und Kranken. Über Jahrhunderte beten Menschen an ihrem Grab. In den Wirren der Reformation wird ihr Leichnam entfernt, nicht aber die Erinnerung und die Achtung vor diesem konsequenten Leben: Anlässlich der 800-Jahr-Feier ihrer Geburt, die ökumenisch begangen wurde, wurden z.B. im evangelischen Naumburger Dom drei neue Elisabethfenster gestaltet: „Werke der Warmherzigkeit“ nannte sie die FAZ (12.12.2007) zu Recht. Damit griff die Zeitung die christliche Tradition der sieben „Werke der Barmherzigkeit“ auf, die den Satz Jesu ernst nimmt: „Was Ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt Ihr mir getan.“ (Mt 25,40). Eines dieser Werke lautet: „Ich war krank und habt mich besucht.“ So sind auch die Namensgebungen „Elisabeth“ der Krankenhäuser in Buer, Dorsten, Herten und Recklinghausen nicht nur Erinnerung, sondern auch Programm, wie auch die der hiesigen St. Elisabeth-Kirche im Nordviertel: Der Aufruf für Barm- und Warmherzigkeit gilt heute wie vor 800 Jahren. Georg Möllers