Körperliche oder sexuelle Gewalt gehören vielerorts zur alltäglichen Erfahrung von Frauen. Am 25. November machen die Vereinten Nationen mit dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen weltweit auf diesen Missstand aufmerksam.
Egal welcher Kontinent unseres Planeten, egal, welches Land, egal, welche Stadt, egal, welche gesellschaftliche Schicht – körperliche und seelische Verletzungen von Frauen sind weltweiter Alltag – ebenso wie der Kampf dagegen. In Deutschland werden rund 35 Prozent der Frauen nach ihrem 15. Lebensjahr irgendwann Opfer von körperlicher und/oder sexueller Gewalt – im europäischen Vergleich liegt Deutschland im Mittelfeld.
■ Was wird in Deutschland zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen getan?
Im Juni 2017 hat der deutsche Bundestag einstimmig einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zugestimmt. Bei der Istanbul-Konvention handelt es sich um Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt.
Außerdem wurde im Juli 2016 das deutsche Sexualstrafrecht reformiert, sodass sich jeder einer Vergewaltigung im strafrechtlichen Sinne schuldig macht, wer sich erkennbar über den Willen des Opfers hinwegsetzt – Nein heißt Nein. Neben dem gesetzlichen Schutz gibt es in Deutschland auch praktische Unterstützung. Bundesweit gibt es rund 350 Frauenhäuser und 40 Schutzwohnungen Zudem gibt es in jedem Bundesland Frauenberatungsstellen zur weiteren Unterstützung.
■ Der „Orange Day“ in Recklinghausen
Orange ist die Farbe, die als Symbol für eine gewaltfreie Welt für Frauen und Mädchen steht. Der Aktionstag wird daher im englischen „Orange Day“ genannt. Unter der Kampagne „Orange the World“ wird weltweit mit verschiedenen Aktionen auf das Thema aufmerksam gemacht. Es werden zum Beispiel Bauwerke angestrahlt, Fahnen gehisst oder Verteilaktionen organisiert. All diese öffentlichkeitswirksamen Aktionen sollen dazu dienen, auf Hilfsangebote aufmerksam zu machen und um zu animieren, Hilfsangebote anzunehmen.
Auch in Recklinghausen gibt es Aktionen, um das Thema in der Öffentlichkeit präsent zu machen. Im Sommer dieses Jahres wurde auf dem Rathausplatz und am Neumarkt in Recklinghausen-Süd eine Sitzbank in knalligem orange aufgestellt, die auf das Thema „Häusliche Gewalt“ aufmerksam machen. In den letzten Jahren wurden neben dem Rathaus auch weitere Gebäude orange illuminiert und es gab Infoveranstaltungen, Poetry Slams und Lesungen. Auch für dieses Jahr ist eine öffentlichkeitswirksame Aktion geplant.
■ Die Anfänge des Frauenhauses in Recklinghausen
Dass es in der Gesellschaft, auch in Recklinghausen, Gewalt gegen Frauen gab, haben alle gewusst und doch lange Zeit geschwiegen. Doch zu Beginn der 90er-Jahre regte sich eine Form von Widerstand innerhalb der Gesellschaft, aus der eine Gruppe von Frauen hervorging, die statt Worten auch Taten sprechen lassen wollte. Am 30. Januar 1990 fassten die Frauen einen wegweisenden Entschluss – sie gründeten den „Verein zur Förderung eines Frauenhauses in RE“. Die Politik der Stadt reagierte mit Ablehnung und Kritik, in der Bevölkerung jedoch stieß man auf großes Interesse und viel Unterstützung, sodass man bereits im Gründungsjahr eine geeignete Immobilie erwerben konnte. Der Start des Frauenhauses in Recklinghausen war holprig und gerade die finanzielle Situation bereitete Sorgen, aber durch großzügige Spenden und durch die Mitgliedsbeiträge konnte man sich über Wasser halten.
■ Im Gespräch mit Jana Hacheney und Anne Meiworm vom Frauenhaus Recklinghausen
Anne Meiworm ist seit 2010 die Leiterin des Frauenhauses in Recklinghausen und Jana Hacheney gehört seit dreieinhalb Jahren zu dem Team, das aus Sozialarbeiterinnen, einer Erzieherin, einer Hauswirtschafterin und einer Verwaltungsangestellten besteht. In dem Haus gibt es die Zimmer der Bewohnerinnen, einige Büros, Badezimmer, eine Küche, ein Wohnzimmer, ein Kinderzimmer und einem Waschraum. Um der Nachfrage nachzukommen, gibt es eine zusätzliche externe Wohnung, die Platz für zwei Frauen bietet.
„Das Haus ist für die Frauen ein Schutzort, den sie gemeinschaftlich nutzen und in dem jede Frau nach Verfügbarkeit ein eigenes Zimmer hat.“
Die Plätze im Frauenhaus in Recklinghausen sind nahezu 365 Tage im Jahr zu 100% oder mehr belegt. Jana Hacheney berichtet, dass zwischen dem Auszug einer Frau und einem Neueinzug nie viel Zeit vergeht, sodass die Auslastung sehr hoch ist.
■ Wie läuft die Kontaktaufnahme?
Wenn sich eine Frau telefonisch meldet und es einen freien Platz im Haus gibt, dann werden die Frauen am Telefon bereits darüber informiert, wie das Zusammenleben mit den anderen Frauen abläuft und wie die Räumlichkeiten sich aufteilen.
STOPP GEWALT GEGEN FRAUEN
Im Gespräch mit den Frauen wird geschaut, ob ein Aufenthalt in Recklinghausen in der jeweiligen individuellen Situation Sinn ergibt. Jana Hacheney hebt hervor, dass es enorm wichtig ist, dass die Frauen sich frei in der Stadt bewegen können, denn das Konzept des Frauenhauses setzt darauf, dass die Frauen von Beginn an sehr selbstständig ihr Leben in die Hand nehmen. Wenn das Team um Anne Meiworm die Situation eingeschätzt hat und die Frau aufnehmen kann, dann wird ein Treffpunkt vereinbart, an dem sich jemand aus dem Team mit der hilfesuchenden Frau trifft und dann geht es gemeinsam zum Frauenhaus.
■ Wie kann man sich den Aufenthalt im Frauenhaus vorstellen?
In der Regel sollte es so sein, dass die Frauen circa drei Monate im Haus sind. Jana Hacheney betont aber, dass die Bedarfe der Frauen sehr unterschiedlich sind und sehr individuell geschaut wird, wie viel Unterstützung, Stärkung und Beratung notwendig ist. Dazu kommt die Schwierigkeit der Wohnungssuche nach einem Aufenthalt, sodass die Frauen häufiger länger als drei Monate vor Ort sind.
Meiworm und Hacheney stellen im Gespräch heraus, dass der Hauptteil ihrer Arbeit die Beratung der Frauen ist. Beratung, Unterstützung und Bestärkung sind die drei Grundpfeiler, mit denen das Team arbeitet, um mit den Frauen eine Zukunftsperspektive zu erarbeiten und einen Weg aus der Gewalt zu finden. Die Frauen müssen sich in ihrem Umfeld sicher fühlen, müssen sich frei bewegen können, um Behördengänge zu erledigen, mit den Kindern auf den Spielplatz zu gehen und sich ein soziales Umfeld aufzubauen. Das sichere Umfeld ist der Schlüssel zu einem neuen selbstständigen Leben ohne Gewalt.
Zusätzlich zu dem Team aus Sozialarbeiterinnen arbeitet auch eine Erzieherin im Frauenhaus. Die Kinder, die mit ihren Müttern ins Frauenhaus kommen, haben ebenfalls Gewalt erlebt und müssen aufgefangen werden.
■ Mit welchen weiteren Hilfs und Beratungsstellen Zusammenarbeit ist die besonders eng?
Anne Meiworm und Jana Hacheney loben die Zusammenarbeit mit der Frauenberatungsstelle und der Polizei, wenn es um Frauen in Akutsituationen geht. Für die Frauen im Haus sind beispielsweise die Erziehungsberatungsstelle, die Ehe-, Familien- und Lebensberatung und das Jugendamt wichtige Ansprechpartner. Hier kommt es aber auch immer auf die individuelle Situation an. Insgesamt profitiert sowohl das Team als auch die Frauen von der guten Zusammenarbeit innerhalb der Stadt.
■ Wie wird der 25. November im Haus wahrgenommen?
Hacheney nimmt an diesem Tag und auch an anderen Aktionstagen, die sich dem Thema widmen, eine positive Grundstimmung wahr. Tage wie der 25. November vermitteln den betroffenen Frauen das Gefühl, nicht allein zu sein und verbreiten die Botschaft „Frauen sind stark!“.
■ Wie finanziert sich das Frauenhaus?
Der Großteil der Finanzierung läuft über die Tagessätze des Jobcenters oder des Sozialamtes, die für jede Frau und für jedes Kind ausgezahlt werden. Zudem gibt es einen kleinen Ertrag aus den Mitgliedsbeiträgen des Vereins und über Spenden. Die Spenden hebt Anne Meiworm besonders hervor, da die Einwohner:innen der Stadt Recklinghausen seit Gründung des Frauenhauses sehr großzügig waren.
Wenn Sie das Frauenhaus unterstützen möchten, dann können Sie dies über eine Spende tun oder indem Sie Mitglied des Vereins werden. Alle Informationen dazu finden Sie auf www.frauenhaus-recklinghausen.de/spenden
Alina Lübbers