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„Sie ziehen sich ja auch keinen Kaktus an“

Es geht auch ohne Kratzen: Neue Therapien bei dermatologischen Krankheiten

Die richtige Behandlung erleichtert das Leben mit Neurodermitis enorm. FOTOS: KLINIKUM VEST

Klinikum Vest räumt auf mit Ammenmärchen und nutzt neue Erkenntnisse sowie Therapien bei Neurodermitis.Ein junger Mann, 28 Jahre alt – nennen wir ihn Marcel, ist verzweifelt: Jahrelang schon leidet er unter einer schweren Form von Neurodermitis, kratzt sich vor lauter Juckreiz wund, Kortison bringt nur kurzfristig Linderung, löst aber das Problem nicht. Im Gegenteil: Wegen der Kortisonpräparate erleidet er einen Hüftschaden, bekommt ein künstliches Gelenk, schwemmt auf, ist mittlerweile leicht übergewichtig und stellenweise von hässlichen Schwangerschaftsstreifen übersät. Unliebsame Nebenwirkungen – allerdings ohne den erhofften Heilungseffekt.Schicksale wie das von Marcel beschäftigen seit Jahren Forschende wie Prof. Dr. Rolf-Markus Szeimies, Chefarzt der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Klinikum Vest. Seine gute Nachricht: „Es existiert definitiv ein Wandel im Verständnis der Erkrankung, es gibt immer neue molekulare Erkenntnisse.“ Und die machen sich Forscher wie er auch im hauseigenen großen Studienzentrum zunutze. Soll heißen: Es gibt neue Behandlungsmethoden bei Neurodermitis – etwa mit sogenannten JAK-Inhibitoren (JanuskinasenInhibitoren), die innerhalb von kürzester Zeit, ja innerhalb von Stunden, Botenstoffe blockieren und den Juckreiz so lindern, dass auch das Entzündungen hervorrufende Kratzen wegfällt. Der JAK-Inhibitor ist, so bestätigt es auch das Deutsche Ärzteblatt, eine neue, „potenzielle Therapieoption mit raschem Wirkungseintritt bei mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis ohne ausreichendes Ansprechen auf topische Medikationen und hat im dritten Quartal vergangenen Jahres EU-weit eine Zulassungserweiterung erhalten.“

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Prof. Dr. Rolf-Markus Szeimies, Chefarzt der Klinik für Dermatologie und
Allergologie am Klinikum Vest

Marcel jedenfalls habe nach der Behandlung weinend vor Freude am Telefon berichtet, dass er seit Jahren die erste Nacht wieder durchgeschlafen habe, ohne sich zu zerkratzen, so Szeimies. Freilich sei nicht immer alles Gold was glänzt. Auch die Therapie mit JAK-Inhibitoren, die man ursprünglich aus der Rheumatologie kennt, hat Nebenwirkungen, weiß der Experte. Liegt beispielsweise zusätzlich eine Infektion vor, können die Inhibitoren deren Verlauf verschlimmern. „Man kann eben nicht immer ein Feuer mit einem Gegenfeuer bekämpfen.“ Doch grundsätzlich sei diese neue Therapieform für Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Neurodermitis geeignet, bei denen andere konventionelle Behandlungsmethoden bisher erfolglos blieben.

Für leichte Formen gilt dagegen weiterhin die klassische Salbenbehandlung mit entsprechender Pflege als das Non pro Ultra. Heißt laut Szeimies: Eine Basistherapie mit pflegenden Ölbädern, besonders im Winter rückfettende Salben und das Vermeiden von Fasern wie Wolle, die an der rauen Haut hängen bleibt und diese so zusätzlich reizt. „Sie ziehen ja auch keinen Kaktus an“, erklärt der Chefarzt das Prinzip und räumt mit einem Ammenmärchen auf.

Hieß es früher noch: Nur Baumwolle tragen, keinen Weichspüler benutzen, nur mit Kernseife waschen und an der frischen Luft trocknen lassen, raten Dermatologen heute von dieser „brettharten Wäsche“ eher ab.

Doch zurück zur neuen Therapie mit JAK-Inhibitoren: Betroffene wie Marcel nehmen einmal täglich eine Tablette ein. In den Zulassungsstudien konnte sich der JAK-Hemmer gegenüber Placebos als wirksam erweisen: Der chronische Juckreiz ging zurück und auch das Hautbild verbesserte sich deutlich. Alternativ gibt es laut Szeimies aber auch Antikörper-Präparate wie Tralokinumab oder Dupilumab, die spezielle Interleukine blockieren oder sogar komplett ausschalten. Dabei handelt es sich um Eiweißstoffe, die unter die Bauchdeckenhaut gespritzt werden und zum Teil inzwischen bereits eine Kinderzulassung hätten. Tralokinumab soll die Entzündung der Haut verringern, indem es den entzündungsfördernden Botenstoff Interleukin-13 hemmt. Dupilumab gibt es schon länger. Heute wird es als Fertigspritze oder Fertigpen angeboten und ist seit November 2020 auch für Kinder ab sechs Jahren mit schwerer Neurodermitis zugelassen.

„Am Klinikum Vest haben wir natürlich auch immer wieder Kinder und Jugendliche im Fokus“,sagt Szeimies, „was hier durch die neuen Therapien an Lebensqualität für die Betroffenen erreicht werden kann, ist schon sensationell.“ Insbesondere die fachübergreifende Kooperation mit der Pneumologie bei allergischem Asthma komme den Patienten zugute – durchaus ein Alleinstellungsmerkmal im Kreis, betont der Chefarzt. Eines, für das man bei entsprechender Indikation lediglich eine stationäre Einweisung vorzugsweise vom niedergelassenen Dermatologen benötigt. Damit man wie Marcel nachts wieder durchschlafen kann. Ina Fischer