Ist Fasten bald überholt? - Eine sogenannte „Abnehm-Spritze“, der der SPIEGEL vor kurzem eine ganze Titelgeschichte widmete, mag manchem die Motivation nehmen, weniger zu essen, aber weniger essen, ist nicht schon fasten. Fasten ist wesentlich auch ein geistiger Vorgang, ein Akt der Freiheit und Befreiung, bewusster, freiwilliger Verzicht, eine Selbstreinigung .... und: ein allgemeines, uraltes Kulturgut.
Wohl schon immer haben die Menschen geahnt, sich auf etwas Höheres hin von Störendem, Bequemlichkeiten, „Erdenschwerem“ befreien zu müssen: im Buddhismus, bei den Griechen und Römern, im Judentum, Christentum und Islam. Im Christentum von der Weisung des Herrn ausgehend: „Metanoeite! Denkt um! Kehrt um!!“ (Mk 1.15).
Gerade die Definition der Fastenzeit als „österliche Bußzeit verdeutlicht auch eine Intention zur Besinnung, „Umkehr“ auf einem falschen Weg, „Umdenken“, kritisches und selbstkritisches Nachdenken über Fehler und künftige Fehlervermeidung.
Und damit ist man bei einem eigentümlichen Problem, jedenfalls aus der Erinnerung in der katholischen Kirche: Das Fasten schien immer nur individuell, den einzelnen Gläubigen empfohlen, genauer: verordnet zu sein. Dass auch die Kirche selbst, mit Papst, Bischöfen und dem gesamten klerikalen System aus schwachen, fehlerhaften Menschen besteht, war auch mit dem eigenen, oft prunkvollen äußeren Erscheinungsbild - wie ausgeblendet.
Davon, dass auch diese Gemeinschaft der Gläubigen, das in den Konzilstexten immer wieder erwähnte wandernde Gottesvolk“, Laien und Klerus, jede, jeder und alle zusammen zur Besinnung und Buße gerufen sein könnten, war - außer in Gebetstexten nicht die Rede. Aber das hat sich geändert, besonders seit dem elenden Missbrauchsskandal und seinen Folgen, dem synodalen Verständnis und mit einem Papst Franziskus, der erklärte: „Ich bin Sünder und ich bin fehlbar.“ (DIE ZEIT 8.3.2017)
Und dieser Papst hat in seiner visionären Enzyklika „Laudato Si“ in „Sorge für das gemeinsame Haus“ im Hinblick auf die durch den Klimawandel drohenden Gefahren ausgesprochen, was heute in der Kirche wohl niemand mehr in Frage stellen wird, dass jede und jeder die gleiche Würde hat und jede und jeder in seinem konkreten Umfeld Verantwortung auch für das Ganze trägt. Diese Enzyklika benennt Fragen und Probleme, mit denen die Christenheit gerade in der Fasten- und Bußzeit, im Hinblick auf Ostern, die letztgültige Sinngebung, das Fest des Sieges über allen Tod, je einzeln und gemeinsam herausgefordert ist. Dabei sollten auch bei manchmal schmerzhaften Auseinandersetzungen unter uns Christinnen und Christen gegenseitige Achtung, Fairness und Freundlichkeit selbstverständlich sein.
„Laudato Si“ enthält dazu eine schöne Empfehlung: „Das Beispiel der hl. Therese von Lisieux lädt uns ein, keine Gelegenheit für ein freundliches Wort, ein Lächeln, für irgendeine kleine Geste zu verpassen, die Frieden und Freundschaft verbreitet...“ Das betrifft besonders den Umgang mit der Sprache, die selbstkritische Sicht darauf, was man sagt... und manchmal eigentlich sagen sollte.
Für einen im Wortsinn sympathischen Umgang miteinander liefert ein gerade von Bernhard Lübbering herausgegebener „Roter Faden Beten“ einen verlässlichen Maßstab: „Keiner ist perfekt. Jeder braucht Verständnis, Keiner ist ohne Fehler. Jeder braucht Anerkennung. Keiner ist ohne Sünde. Jeder braucht Barmherzigkeit.“ ■ Rudolf Kortenjann
Rudolf Kortenjann
• Geboren 1938 in Recklinghausen
• Verwitwet
• 1967 bis 2000 Richter am Amtsgericht in Recklinghausen
• 1970 bis 2000 Vorsitzender des Stadtkomitees der Katholiken
• 1980 bis 2000 Mitglied des Diözesanpastoralrates
• Gründungsmitglied und ehrenamtliches Engagement im Hospiz zum hl.
• Franziskus . Freude an geschichtlichen und theologischen Themen